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Entwicklungsfördernde Pflege – von der Theorie zur Praxis

Ein Gastartikel von Dr. med. Susanne Rücker, Kinder- und Jugendärztin,  am Klinikum Dritter Orden, München

NIDCAP in der Anwendung; © Klinikum Dritter Orden München

Entwicklungsfördernde Pflege ist ein wichtiger Bestandteil in der Betreuung von Frühgeborenen. Als Neonatologie der Maximalversorgung spielte diese Art der Versorgung auch in unserer Klinik eine wichtige Rolle, allerdings gab es bisher kein Gesamtkonzept, das einheitlich angewandt wurde.

Unser Wunsch war es deshalb ein Programm zur entwicklungsfördernden Pflege zu implementieren, das insbesondere auch eine familienzentrierte Betreuung beinhaltet. Durch EFCNI wurden wir auf FINE – Family and Infant Neurodevelopmental Education – aufmerksam, ein strukturiertes Schulungsprogramm zur familienzentrierten entwicklungsfördernden Pflege, das auf NIDCAP (Newborn Individualized Developmental Care and Assessment Program) basiert. Eine Spende des EFCNI ermöglichte uns im Jahr 2016 Schulungen durch ein Team von NIDCAP Trainern aus Rotterdam und Tübingen durchzuführen. In zweitägigen Workshops wurden wissenschaftlichen Grundlagen, Strategien zur Pflege unter Beobachtung der Babys sowie die Rolle der Familie vermittelt. Ein zweites Schulungsmodul ermöglichte einigen Mitarbeitern im Rahmen von Bed-Side-Beobachtungen unter Supervision weitreichende Kenntnisse in Verhaltensbeobachtung, welche die Voraussetzung für eine individuelle Pflege darstellt, zu erwerben.

Nach Abschluss der Schulungen standen wir zu Beginn 2017 vor der Aufgabe das Konzept, das uns sehr begeistert hatte,  in unserem Alltag umzusetzen. Wichtige Voraussetzungen waren zunächst die Etablierung einer Arbeitsgruppe, die alle Aktivitäten und Projekte koordiniert, sowie die Entwicklung eines Konzepts für hausinterne Schulungen um weitere Mitarbeiter schulen zu können. Unser Ziel ist es ein optimales Umfeld für unsere kleinen Patienten zu schaffen, das ihnen durch ausreichend Ruhe aber auch adäquate Stimulation eine optimale Entwicklung ermöglicht.  Abläufe werden kritisch hinterfragt und laufend angepasst, durch Etablierung eines Stress- und Schmerzmanagement, Einführung von Maßnahmen zur Lärmreduktion und Optimierung der Känguru-Pflege sehen wir hier bereits gute Erfolge. Im Fokus steht die Familie, unser Ziel sind kompetente Eltern, die die Bedürfnisse ihrer Kinder erkennen und adäquat darauf reagieren können, was wir ihnen durch Einbeziehung in die Pflege von Anfang an vermitteln. Eine Mutter-Kind-Betreuung wird früh angestrebt. Dieses Konzept spiegelt sich in einer frühen und erfolgreichen Entlassung wieder. Durch Anpassung der Besuchsregelung für Geschwisterkinder können diese jetzt uneingeschränkt zu Besuch kommen und werden in die Betreuung integriert.

Neben dem Personalmangel v. a. in der Pflege ist eine große Herausforderung ein Bewusstsein für diese neue Art der Versorgung zu schaffen, die durch ihren individuellen Ansatz und Abgabe von Verantwortung an die Eltern ein Umdenken von uns fordert. Obwohl die Implementierung eines solchen Programms viel Geduld und einen langen Atem braucht sind wir sicher uns auf einem guten Weg zu befinden und Veränderungen erreicht zu haben, die nicht mehr umkehrbar sind. Für die Zukunft planen wir u. a. die Optimierung der Betreuung im Kreißsaal und den neonatologischen Kinderzimmern, und eine NIDCAP Ausbildung für einige Mitarbeiter unserer Klinik.